Feinstaubalarm: Panikmache oder Weckruf?

Viele Stuttgarter Einzelhändler sind sehr unglücklich, wie man in den Stuttgarter Nachrichten am 28. 3. lesen konnte. Erst 2014 haben sie 80.000qm neue Einkaufsfläche in der Innenstadt geschaffen. Wohlwissentlich, dass sie ihre Kunden immer mehr ans Internet verlieren. Damit die Läden nicht leer stehen, sind sie auf Touristen und Kunden aus dem Umland angewiesen. Und ja, sie kommen auch! Gerne mit dem Auto. Sie verstopfen die ohnehin schon überlasteten Straßen und verschmutzen dabei die Luft. Jetzt drohen Fahrverbote und Stuttgart hat sich den Ruf einer dreckigen Stadt redlich verdient. Das gefällt den Touristen nicht. Fahrverbote würden obendrein noch den Umlandshopper fernhalten. Wer soll dann bitte in ihren schönen neuen Shoppingwelten einkaufen?

Symptome statt Ursache

Zur Hilfe eilen die CDU, FDP und Freie Wähler. Ihr Plan ist simpel: Sie beantragen einfach, das Wort „Feinstaubalarm“ in etwas weniger Kundenabschreckendes umzubenennen, wie zum Beispiel „Austauscharme Wetterlage“. Man kehre den Feinstaub einfach unter den Teppich – und versuche so, zumindest das Image der Stadt zu retten.

Sei doch alles eh nicht so schlimm, sagen da einige. Der Feinstaubalarm sei die falsche Botschaft, er suggeriere eine akute Gefahr, die so nicht bestünde, behauptete der Lungenarzt Martin Hetzel in der Stuttgarter Zeitung. Außerdem wäre die Luft in den letzten 15 Jahren besser geworden. Also alles okay soweit? Weiter machen wie bisher und hoffen, dass sich das Problem von alleine löst?

Stuttgart wacht auf

Mit dieser Strategie hatte Stuttgart sehr lange verhindert, dass irgend etwas Langfristigeres zur Verbesserung der Situation angegangen wird. Kein Wunder – das Auto ist dem Stuttgarter heilig*, und kaum einer will Einschränkungen hinnehmen. Die sind jedoch unumgänglich, wenn man etwas verbessern will. Die derzeitige Diskussion sei „ideologisiert und emotionalisiert“, klagt Hetzel in der Stuttgarter Zeitung. Das mag sein. Aber das ist auch gut so! Der Feinstaubalarm und die drohenden Fahrverbote haben die Stadt aufgeweckt, viele Debatten ausgelöst und ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass es so nicht weiter gehen kann. Feinstaubalarm und Dieselfahrverbote sind sicherlich weder die gerechtesten noch sinnvollsten Maßnahmen für eine saubere Stadt, aber sie sind ein Schritt in die richtige Richtung.

Ein besseres Image

Mit den Auswüchsen, das uns das städtebauliche Leitbild der autogerechten Stadt (z.B: Österreichischer Platz) beschert hat, tragen wir ein schweres Erbe. Um Stuttgart in eine menschengerechtere Stadt des 21. Jahrhunderts zu transformieren, braucht es Visionen, Mut und Engagement. Wer versucht, die Probleme der Stadt kleinzureden, verfestigt den Status Quo. Wäre es nicht wunderbar, wenn Stuttgart das Image hätte, eine Stadt zu sein, die nicht über Imageprobleme jammert, sondern entschlossen an ihrer Zukunft arbeitet? Und darüber freuen sich auch die Touristen aus dem Umland und aus aller Welt.

 


Artikel über Klagen des Einzelhandels in den StN

Feinstaubumbenennungsantrag der CDU, FD, Freie Wähler
Artikel dazu in der StZ

Lungenärzte zum Feinstaub in der StZ

Der Guardian über Stuttgart und die Autos

 


* Eines der Hauptargumente für ungebremsten Autoverkehr ist die Tatsache, dass Stuttgart von der Autoindustrie lebt. Letztendlich wäre es aber so, als ob alle Waldenbucher täglich drei Tafeln Schokolade essen müssten, da Waldenbuch von der Schokoladenindustrie lebt.


Noch einen wichtigen Gedanken dazu hat unsere Bezirksbeirätin Andrea Teicke für den Stuttgarter Westen dazu gegeben:

„Bei aller Diskussion über die Strategien darf nicht vergessen werden, dass es sich um durch die EU festgelegte Grenzwerte handelt, die eingehalten werden müssen. Bei Nichteinhaltung droht Strafe. Es besteht also ein Zwang zum Handeln – und dabei spielt es keine Rolle, welches Parteibuch man in der Hand hält.“

Martin Zentner

Martin Zentner ist stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Stadtisten. Er arbeitet als freischaffender Grafiker, Texter und Künstler. Er lebt im Heusteigviertel.

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